Jules Schelvis

Foto von Jules Schelvis
Jules Schelvis in Amstelveen, 2008

Jules Schelvis wurde 1921 in Amsterdam geboren und erlernte den Beruf des Druckers. Schon 1942 hatte in den von deutschen Truppen besetzten Niederlanden eine große Polizeiaktion gegen alle Juden begonnen, die zum Ziel hatte, die Niederlande "judenfrei" zu machen.

Zusammen mit seiner Frau Rachel, die er im Dezember 1941 geheiratet hatte, tauchte Jules Schelvis zeitweise unter, in ihrer Wohnung standen immer gepackte Rucksäcke. Am 26. Mai 1943, er war 22 Jahre alt, wurde das Paar aus ihrer Wohnung in Amsterdam ins Lager Westerbork und von dort am 1. Juni 1943 in "den Osten" deportiert.

Am 4. Juni 1943 erreichte der Güterzug mit 3.006 jüdischen Männern, Frauen und Kindern, darunter auch Rachels Eltern und Geschwister, das Vernichtungslager Sobibór.

Kurz nach der Ankunft wurde Jules Schelvis von seiner geliebten Frau Rachel getrennt. Er selbst gelangte in ein Arbeitskommando, in das er zunächst nicht eingeteilt war. Doch er fragte den vorbeigehenden SS-Mann auf Deutsch, ob er sich dieser Gruppe anschließen könne. Nach einigem Zögern nickte der mit einer Peitsche hantierende SS-Mann.

Nach wenigen Stunden in Sobibór, noch nicht ahnend, dass Rachel und deren Verwandte an diesem Tag der qualvolle Tod in den Gaskammern erwartete, wurde er mit achtzig anderen jungen Männern in das Lager Dorohucza gebracht. Dort mussten sie unter brutalsten Bedingungen Torf stechen.

Weil Jules Schelvis Drucker war, hatte er das Glück, in ein Kommando zu kommen, dessen Einsatzort mit Zwischenstation Lublin/Alter Flugplatz das Ghetto Radom war. Nach über einem Jahr in Radom wurde er auf den Todesmarsch nach Tomaszow getrieben, von wo es sechs Tage später mit Güterwaggons nach Auschwitz-Birkenau ging. Dort überstand er wiederum eine Selektion. Der Güterzug setzte sich noch am gleichen Tag nach Vaihingen, wo sich ein Außenkommando des Konzentrationslagers Natzweiler befand, in Bewegung.

Das KZ Vaihingen/Enz, nahe Stuttgart, befand sich in der Nähe eines Steinbruchs, in dem ein unterirdisches Bunkerwerk zur Flugzeugproduktion der Firma Messerschmidt errichtet werden sollte.

An Flecktyphus erkrankt, erlebte Jules Schelvis buchstäblich in letzter Minute Anfang April 1945 die Befreiung durch französische Soldaten. Kaum etwas genesen, begann er noch auf dem Krankenbett, seine Erlebnisse der letzten beiden Jahre niederzuschreiben. Diese Aufzeichnungen bildeten Jahrzehnte später die Grundlage für sein Buch "Eine Reise durch die Finsternis - Ein Bericht über zwei Jahre in deutschen Vernichtungs- und Konzentrationslagern".

Jules Schelvis kehrte zurück nach Amsterdam. Er fand die Mutter und seine Schwester, die unter anderem Bergen Belsen überlebt hatten, wieder. Der Vater war in Sachsenhausen ermordet worden.

Er arbeitete wieder in einer Druckerei und heiratete ein zweites Mal, wurde Vater zweier Kinder.

In den 1980er-Jahren fand in Hagen der Prozess gegen Karl Frenzel, einen der SS-Männer von Sobibór statt, in dem Jules Schelvis als Nebenkläger auftrat. Während des Prozesses lernte er mehrere Sobibórüberlebende kennen, die dank eines Häftlingsaufstandes im Oktober 1943 überlebt hatten. Er begann Interviews zu führen und mit einer Kamera aufzuzeichnen. Ein einzigartiges Archiv entstand.

Es folgten Jahre der akribischen Forschung. Sein 1993 erschienenes Werk "Vernichtungslagers Sobibór" ist bis heute das wissenschaftliche Standardwerk.

Mehrmals folgte Jules Schelvis seit 2005 Einladungen des Alternativen Jugendzentrums Dessau und absolvierte zahlreiche Lesungen, Zeitzeugengespräche und Interviews im Raum Dessau und Bernburg.

"Tagtäglich bin ich beschäftigt mit dieser Geschichte.", erklärte er 2005, vor sich Archivakten liegend, in der Gedenkstätte Bernburg.

In Anerkennung seiner Leistungen verlieh die Universität Amsterdam Jules Schelvis, der heute in Amstelveen lebt, Anfang Januar 2008 den Doktortitel.

2006 veröffentlichte das AJZ Dessau mit maßgeblicher Unterstützung von Jules Schelvis die Dokumentation: "Bełżec, Sobibór, Treblinka - die Vernichtungslager der `Aktion Reinhardt´".

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